Zwei Geschichten, zwei Höhepunkte auf jeder Rennrad Etappe. Zwei Teile die zueinander gehören wie Pech und Schwefel. In zwei Beiträgen beschreibe ich dir den Traum vom Rennradfahren, nämlich dem Anstieg und der Abfahrt. Du kannst sie nicht voneinander trennen, du musst auf beides vorbereitet sein. Was ihren jeweiligen Reiz ausmacht, liest du hier.
Teil 1 – Jede Schweißperle ist eine vorübergehende Narbe auf dem Weg zum Gipfel (Du befindest dich hier)
Teil 2 – Im Rausch des Windes – Bergab bist du ganz alleine auf dieser Welt
Jede Schweißperle ist eine vorübergehende Narbe auf dem Weg zum Gipfel
Du richtest dein Rennrad auf und fühlst die Leichtigkeit des Metalls. Alles ist stimmig, alles passt aufeinander, alles ist bis in das letzte Detail hochgradig entwickelt. Das erste Mal überkommt dich das Gefühl von Freiheit. Dein Blut fängt an, sich vorzubereiten. Du spürst es. Und bevor du auf den Sattel steigst, wandern deine Augen noch einmal prüfend über alle wesentlichen Komponenten. Check. Es sieht gut aus. Es sieht sogar sehr gut aus. Es kann losgehen.
Du steigst über den Rahmen, beide Hände fest am Griff, merkst wie sich deine Clickies in den Pedalen festsaugen. Jetzt bist du eins. Verschmolzen mit deiner High End Maschine aus Stahl, Aluminium und Carbon. Ein fester Verbund aus Muskeln, die die Energie liefern und Mechanik, die sie in pure Kraft umsetzen.
Die ersten Meter. Geschenkt.
Du trittst hinein, alles setzt sich gleichermaßen in Bewegung. Der erste Wind kommt auf, du nimmst ihn mit. Geschenkt. Die ersten Meter, Kilometer. Geschenkt. Unwichtig für jedes Protokoll, Mittel zum Zweck könnte man sagen. Denn der Berg ruft. Und du folgst seinem Ruf, denn die Herausforderung hast du längst angenommen, während er näher und näher rückt.
Noch einmal ein letzter Blick nach hinten. Das Rad läuft in der Spur. Die Kette gleitet über die Ritzel. Bremsscheiben? Funktionieren sicher. Jetzt bloß nicht langsamer werden, du kannst sie immer noch am Gipfel testen. Der erste Anstieg. Ruhe bewahren, rechnen, Ruhe bewahren, rechnen… wie lange, wie hoch, wie weit… Ruhe bewahren…
Ruhe bewahren. Atmen. 5% Steigung, du nimmst sie mit Leichtigkeit. 7% Steigung, der Berg fordert dich heraus. Nun gut: Soll er bekommen! 10%, 12%, 14% und mehr: Deine Beine sind nun unter Volllast. Das Herz pumpt, versorgt deine Adern, deine Waden, deine Oberschenkel mit frischer Energie. Jetzt fühlst du den Berg, endlich. Deine Sehnsucht wird gestillt, der Asphalt rückt dicht an deine Pedale heran. Warst du bisher eins mit dem Rad, seid ihr nun eine Dreieinigkeit. Asphalt, das Rennrad und du. Im Einklang gegen den Berg. Gemeinsam schafft ihr es, schaffst du es.
Es schmerzt, aber tut es weh?
Deine Augen kneifen zusammen, deine Zähne beißen aufeinander. Es schmerzt, aber tut es weh? Nein! Das Blut strömt und erhitzt deinen Körper, aber tut es weh? Nein! Denn in deinen Augen siehst du den Gipfel. Noch drei, vielleicht vier Kehren. Du weißt es nicht genau, aber dein Gefühl sagt dir, dass du den Berg bald bezwungen hast. Jetzt nur nicht aufgeben. Nicht langsamer werden. Dein Tempo fahren. Du nimmst deine Umwelt wahr, versuchst dich abzulenken aber das funktioniert nur in Bruchteilen von Sekunden. Denn schon gleich bist du wieder voll auf der Straße. Mitten im Geschehen. Alles ist nun an der Belastungsgrenze. Dein Körper, deine Pedale die das Rad in den Asphalt drücken. Die Kette schiebt sich Glied um Glied über die Ritzel, die Kraft lässt nach. Aber du gibst nicht auf. Die letzte Kehre. Es ist die letzte Kehre, du fühlst es. Du siehst es. Mit aller Kraft gibst du nun alles. Wirst sogar schneller – unfassbar, welche Leistung du jetzt bringst. Kannst du es selbst glauben? Du gehst die Strecke in Gedanken durch: „Damals“… Kehre 1, Kehre 2… und dann das kurze steile Stück… es kommt dir wie eine Ewigkeit vor, die diese Höhepunkte zurück liegen. Und während du noch in Gedanken auf deiner Strecke bist, siehst du das Ziel vor Augen. Der Gipfel, endlich. Die Informationstafel… Der höchste Punkt. Du bist angekommen.
Endorphine strömen durch deinen Körper. Du kannst es nicht fassen. Du fühlst, wie du den Berg entzaubert hast. Dein Respekt gebührt ihm, aber du merkst dass du stärker warst. Und er aufgeben musste. Er ist nicht mehr dasselbe, der er vorher war. Nun steht er in der Vitrine deiner Erinnerung. Eine Trophäe. Aber dein Glück kannst du nicht fassen. Es fühlt sich einfach so gut an. Jede Schweißperle auf der Strecke war eine vorübergehende Narbe auf dem Weg zum Gipfel. Doch der Weg ist noch nicht zu Ende. Jetzt folgst du dem Ruf der Freiheit. Die Abfahrt ins Tal wartet auf dich.
Teil 2 – Im Rausch des Windes – Bergab bist du ganz alleine auf dieser Welt